Wednesday, September 9, 2009

Wenn Polonius ein Muslim wär'...

Als ich in Kurban Saids wunderbarem Roman Ali und Nino (nochmals großen Dank an A.A.M. für die Empfehlung!) zu der Stelle gelange, da Ali, nachdem er seine Abiturprüfung bestanden hat, kurz vor seiner Abfahrt nach Moskau ins Lazarewsche Institut für orientalische Sprachen steht und sein Vater ihm eine Lebewohlpredigt hält, muss ich sofort an die Abschiedsrede des Polonius im ersten Akt des Hamlet denken, wo dieser seinen zum Studium nach Frankreich abreisenden Sohn bekanntermaßen wie folgt belehrt:
Polonius. Noch hier, Laertes? Ei, ei! an Bord, an Bord,
Der Wind sitzt in dem Nacken Eures Segels,
Und man verlangt euch. Hier mein Segen mit dir -
(indem er dem Laertes die Hand aufs Haupt legt.)
Und diese Regeln präg in dein Gedächtnis:
Gib den Gedanken, die du hegst, nicht Zunge,
Noch einem ungebührlichen die That.
Leutselig sei, doch keineswegs gemein.
Dem Freund, der dein, und dessen Wahl erprobt,
Mit ehrnen Haken klammr’ ihn an dein Herz.
Doch härte deine Hand nicht durch Begrüßung
Von jedem neugeheckten Bruder. Hüte dich
In Händel zu geraten; bist du drin:
Führ sie, daß sich dein Feind vor dir mag hüten.
Dein Ohr leih jedem, wen’gen deine Stimme;
Nimm Rat von allen, aber spar dein Urteil.
Die Kleidung kostbar, wie’s dein Beutel kann,
Doch nicht ins Grillenhafte; reich, nicht bunt:
Denn es verkündigt oft die Tracht den Mann,
Und die vom ersten Rang und Stand in Frankreich
Sind drin von edelster und feinster Wahl.
Kein Borger sei und auch Verleiher nicht;
Sich und den Freund verliert das Darlehn oft,
Und borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.
Dies über alles: sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgend wen.
Leb wohl! Mein Segen fördre dies an dir!
Bei Kurban Said lauten die Ratschläge des Vaters an seinen Sohn so:
"Mein Sohn, jetzt da du ins Leben trittst, ist es notwendig, dass ich dich noch einmal an die Pflichten eines Muslim mahne. Wir leben hier im Lande des Unglaubens. Um nicht unterzugehen, müssen wir an alten Sitten und an alten Bräuchen festhalten. Bete oft, mein Sohn, trink nicht, küsse keine fremden Frauen, sei gut zu den Armen und Schwachen und immer bereit, das Schwert zu ziehen und für den Glauben zu fallen. Wenn du im Felde stirbst, so wird es mir, dem alten Mann, wehe tun, wenn du aber in Unehren am Leben bleibst, werde ich alter Mann mich schämen. Vergib nie den Feinden, mein Sohn, wir sind keine Christen. Denke nicht an morgen, das macht feige, und vergiss nie den Glauben Mohammeds, in schiitischer Auslegung der Richtung des Imam Dschafar. [...] Und um eines flehe ich dich an: Befasse dich nicht mit Politik! Alles, was du willst, nur keine Politik."

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